
Ist ein Leben ohne Smartphone möglich? - Selbstversuch: Smartphonefasten
Unsere rbb 88.8 Reporter-Kollegin Miriam Keuter hatte sich vorgenommen, auf ihr Smartphone zu verzichten. Sie wollte wissen, kann das funktionieren? Ein Alltag im Jahr 2024 ohne Smartphone? Wochen ohne Apps und mobilen social Media Zugang.
Nach sechs Wochen hat sie ihren Selbstversuch abgebrochen. Warum, wie es war, das Smartphone am Ende wieder einzuschalten und welche Erkenntnisse sie aus ihrer Zeit ohne Smartphone jetzt in ihren Alltag integrieren will, erfahren Sie hier.
Das Fazit
Ich habe eine Woche vor Ostern das Smartphone-Fasten gebrochen. Klingt wie eine Niederlage, aber sechs oder sieben Wochen macht keinen Unterschied. Warum hast Du nicht noch die letzte Woche durchgehalten, fragt mich eine Freundin? Tja, ich sag’s mal so, die äußeren Umstände haben mich dazu gedrängt. Meine Teenager Tochter ist mit Freunden auf großer Fahrt in Frankreich und alle besorgten Eltern sind vernetzt, natürlich über WhatsApp. Also bin ich wieder dabei. Und ich gebe zu, etwas neugierig war ich schon. Habe ich wirklich was verpasst? Der Moment, als ich mein Smartphone wieder anschalte, war, als täte ich etwas Verbotenes mit ein bisschen Nervenkitzel. So als würde ich ein Weihnachtsgeschenk auspacken und das schon vor Weihnachten! WhatsApp lädt rasend schnell, alle verpassten Nachrichten flimmern vor meinem Auge wie ein kleines optisches Gewitter aus roten Zahlen. Es dauert nicht länger als vier, fünf Sekunden. 270 WhatsApp Nachrichten nur in einem von meinen Gruppenchats. Wow, da muss ja offensichtlich einiges passiert sein. Doch die Wahrheit ist, es war banales Zeug, es ging um Absprachen für eine Geburtstagsparty.
Ehrlich gesagt, ich war enttäuscht von meiner ersten „Smartphone-Social-Media-Begegnung“ nach sechs Wochen. Dabei weiß ich gar nicht, was ich erwartet hatte? Schließlich war ich mit meinem Tasten-Telefon ja weiterhin erreichbar gewesen. Es war nicht so, dass ich einen kalten Entzug hingelegt hätte. Nein, zur Wahrheit gehört auch ohne Smartphone hieß nicht digital Detox. Ich habe auch weiter E-Mails geschrieben oder im Internet recherchiert, aber eben vom Rechner aus und nicht von unterwegs. Alle 11 Minuten gucken wir Deutschen durchschnittlich aufs Handy, auch wenn dort gar nichts passiert. Zu dem Ergebnis kam jüngst eine Untersuchung.
Diese Zeit konnte ich in den vergangenen Wochen anderweitig nutzen. Ich habe mal wieder gelangweilt meine Umgebung beobachtet, habe öfter eine Zeitung gelesen, mehr geredet, vor allem am Telefon und ja, vermutlich habe ich auch mehr Fernsehen geguckt. Social Media hat mir nicht gefehlt, es war erholsam, nicht bei jedem „pling“, „ding“ und „tüdeldü“ aufs Handy zu gucken, wie der „Pawlowsche Hund“. War ich in den letzten Wochen selbstbestimmter, autonomer, zufriedener? Ich würde gerne uneingeschränkt Ja sagen, doch das wäre gelogen. Das Leben war beschwerlicher.
Denn es ist schon toll, wenn ich mir per App ein Auto mieten kann, wenn ich auf der Straße stehe und die BVG nicht fährt. Es ist toll, wenn ich von unterwegs eine Rechnung über PayPal begleichen kann oder wenn mir meine Fluggesellschaft auf dem Weg zum Flughafen die Verspätung mitteilt. Oder wenn die erwähnte Elterngruppe mir Fotos schickt und ich sehen kann, dass es meiner Tochter auf ihrer Reise gut geht. Google Maps, das BVG-Ticket, meine Banking App, die rbb24 Nachrichten App! Alles Errungenschaften, die ich sehr schätze. Mein Fazit, ich habe vieles vermisst, aber auch was gewonnen. Ich war deutlich entspannter, konzentrierter und auch wieder etwas neugieriger. Ich habe mich mal wieder vor meiner Haustür umgesehen und nicht nur im Leben anderer Leute gewühlt bzw. gescrollt. Leben im „Breitwandformat“, wie ein Leser schrieb, ist immer noch spannend.
Aber ich werde in Zukunft nicht auf das Smartphone verzichten. Ich werde nur einiges verändern. Instagram kommt mir zum Beispiel nicht mehr aufs Handy. Das war der Zeit-Killer Nummer 1. Ich werde außerdem die Pushnachrichten ausschalten, Arbeitsprogramme nur während der Arbeit nutzen und mein alter Funkwecker bleibt am Bett. Ich habe seit meinem Selbstversuch vor sechs Wochen im Übrigen einen großen Fan. Meine Tochter. Sie hat mich offen und ehrlich für meinen Verzicht bewundert. Das hat mich wiederum alarmiert, denn für sie wären sechs Wochen ohne Smartphone undenkbar. Ironie an der Geschichte: Der Grund, weshalb ich eine Woche vorher mein Fasten gebrochen habe, ist die bereits erwähnte Auslandsreise meiner Tochter, auf der sie sich gerade befindet. Und was soll ich sagen, dort gibt es kein W-Lan und kaum Empfang. Sie hat es gelassen genommen, denn sie weiß ja jetzt durch mich, es geht auch ohne!

Zwischenbilanz (Stand: 06. März 2024)
Ich glaube ich bin gewachsen, zumindest bilde ich mir ein ich würde etwas aufrechter gehen seit drei Wochen. Vielleicht stimmt es ja was Wissenschaftler behaupten, dass wir alle Haltungsschäden haben, seitdem wir immer nach vorn gebeugt aufs Smartphone gucken. Tatsächlich gucke ich mir meine Umgebung wieder etwas genauer an, auch zwangsläufig, denn wenn ich jetzt irgendwo ´rumstehe und auf etwas muss ich die Momente der Langeweile ja anders füllen. Und was soll ich sagen: ich lese wieder mehr, kaufe mir wieder Zeitungen und anstatt Abends vorm Schlafengehen noch ´ne Stunde im Instagram Algorithmus hängen zu bleiben nehme ich mir old-school-mäßig ein Buch. Wenn ich jetzt noch eine Anzeige für meine Bildschirmzeit hätte, dann würde dort vermutlich 10 Minuten stehen. Ich hatte sonst im Schnitt zweieinhalb Stunden pro Tag, nur für soziale Medien!
Interessant sind Reaktionen in meinem Umfeld. Sie reichen von eigenartig bis gar nicht. Meine freiwillig auferlegte Fastenkur stößt nicht überall auf Verständnis. Offenbar bin ich für einige zu einer Art Problemfall geworden. Kürzlich rief mich ein Kollege an und begann das Gespräch ganz empört mit den Worten: „Ich weiß gar nicht mehr, wie ich dich erreichen soll? WAAAS? Hallo Telefon! Die WhatsApp Gruppenchats laufen bei mir jetzt ins Leere. Wer mich kontaktieren will, muss mich anrufen oder eine SMS schicken. Diese Extrabehandlung empfinden einige tatsächlich als Zumutung? Das wirft wiederum Fragen meinerseits auf.
Leben ohne Smartphone ist teilweise tatsächlich etwas diskriminierend. An bestimmten Dingen des Lebens kann ich gar nicht mehr teilhaben. Nur ein Beispiel. Ich sitze im Restaurant und kann die Speisekarte nicht lesen, weil die nur noch über QR Code funktioniert.

Zurück zum guten alten Stadtplan
Eine Woche ohne Smartphone – Wie fühlst Du Dich?, fragen Kolleg*innen. Naja, als wäre gerade Zeitumstellung von Winter auf Sommerzeit und ich bleibe einfach in der Winterzeit, weil es mir da besser gefällt. Social Media fehlt mir gar nicht. Aber ja, es gibt ein aber. Denn natürlich gibt es Smartphone Funktionen, die mir das Leben unendlich einfacher machen. So wollte ich vergangene Woche zu einem Termin nach Hellersdorf.
Im Normalfall hätte ich einfach über Google Maps Standort und Ziel eingegeben und wäre in die Bahn gestiegen. Wie bin ich nur früher problemlos von A nach B gekommen? Und woher kriege ich einen Stadtplan? Auf der Tankstelle. Da gibt es sie noch! In der U-Bahn muss ich dann der Lacher des Tages gewesen sein. Während um mich herum alle auf ihr Smartphone gucken, muss ich erst mal über eine Breite von zwei Sitzen meinen Stadtplan auffalten. Ohne Lesebrille keine Chance. Leider lässt sich auf meinem Falt-Plan nix groß ziehen mit den Fingern. Aber ja, ich bin angekommen. Ich hab es offenbar noch nicht verlernt. Gut zu wissen.

Ticketkauf auch ohne Smartphone
Ich muss morgens um halb sechs mit der U-Bahn zu einem Reporter-Termin. Ich habe mir verbotenerweise auf meinem Smartphone den Wecker gestellt. Das Tastenhandy funktioniert immer noch nicht. Ich will wissen, wie lange ich zum Potsdamer Platz brauche. Im Normalfall würde ich schnell auf Google Maps zugreifen.
Das geht ja nun nicht, die App habe ich im Vorfeld meines Fastenprojekts gelöscht. Also kalkuliere ich so ungefähr und hoffe, dass die U2 regelmäßig fährt. Am U-Bahnhof fällt mir erst auf, dass ich keine Fahrkarte habe. Ich benutze immer die Jelbi App der BVG, da kann ich mir schnell Tickets kaufen. Heute aber nicht. Glücklicherweise nehmen die BVG-Automaten alle auch EC-Karten. Ich schreibe in meinen Whatsapp-Status alle Kontakte an: „Ich bin ab jetzt nur noch per Telefon oder SMS erreichbar“. Mal gucken, welche Reaktionen kommen.

Auch ohne Smartphone erreichbar
Das Smartphone aus meinem Alltag zu verbannen, ist gar nicht so einfach, denn natürlich will ich zumindest telefonisch erreichbar bleiben. Einen Festnetzanschluss habe ich schon seit Jahren nicht mehr. Also bleibt mir nur ein mobiles Gerät. Um der Versuchung zu entgehen, reicht es nicht, alle Apps von meinem Smartphone zu löschen. Also kaufe ich ein schlichtes altes Tastenhandy. 23 Euro mit einem Adapter für die SIM-Karte.
Eigentlich eine gute Idee. Doch die Karte lässt sich nicht installieren. Ich muss also noch einen Tag dranhängen. So schnell werde ich mein Smartphone nicht los. Nicht, wenn ich meine Kollegen und Kolleginnen nicht verärgern will. Wie erreichen wir Dich, fragen sie? Per Telefon und SMS!
Allerdings kommunizieren fast alle über WhatsApp, Chat-Gruppen oder Microsoft Teams. Das ist seit Corona die Kommunikationsplattform bei der Arbeit und läuft natürlich auch auf dem Smartphone. Damit wär´ich raus, was Absprachen im Job betrifft. Ist natürlich mein Problem, das ich selbst lösen muss. Fühlt sich aber nicht gut an.